Gemeinde Nebelschütz
mit den Ortsteilen Dürrwicknitz, Miltitz, Nebelschütz, Piskowitz, Wendischbaselitz.

sorbischeLinde kleinDie Sorben oder auch Wenden in beiden Lausitzen zählten zu jenen elbslawischen Stämmen, die ab dem 6. Jahrhundert in das Gebiet zwischen Oder und Elbe/Saale einwanderten. Obwohl seit dem 10. Jahrhundert deutscher Obrigkeit unterworfen, konnten sie ihre ethnische Eigenart bis in die Gegenwart hinein erhalten.

Im frühen 19. Jahrhundert erwachte unter dem Einfluss von Aufklärung und Romantik sowie der nationalen Wiedergeburt anderer slawischer Völker auch das nationale Bewusstsein der Lausitzer Sorben. 1845/47 wurde die erste wissenschaftlich-kulturelle (gesamtsorbische) Gesellschaft, die "Maćica Serbska", gegründet; sie nahm sich der geistigen Belange des sorbischen Volkes in vielfältiger Weise an. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich ein relativ breites Pressespektrum. Es erschienen wissenschaftliche und belletristische Publikationen. 1912 schlossen sich die sorbischen Vereine im Dachverband "Domowina" zusammen, um dem anhaltenden politischen und wirtschaftlichen Druck sowie der Germanisierung zu begegnen.

In der Zwischenkriegszeit bemühten sich die Sorben um die Realisierung der in der Weimarer Verfassung verankerten nationalen Rechte (Artikel 113). Es kam zu einem Aufschwung in Literatur, Kunst, Musik und Wissenschaft. 1937 wurden sorbische Kultur und Sprache durch ein Verbot der nazistischen Führung praktisch völlig aus der Öffentlichkeit verbannt. Dank der Niederlage des deutschen Faschismus entging das sorbische Volk der angedrohten physischen Vernichtung.

Der Sächsische Landtag verabschiedete 1948 das "Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung", das neue, stabile Strukturen im Kulturleben ermöglichte. Nun begann eine staatliche Förderung sorbischer Schulen sowie sorbischer bzw. sorabistischer Kultur-, Bildungs- und Forschungsstätten (z. B. Theater, National-Ensemble, Verlag, Universitäts- und Akademie-Institut). Trotz materieller Unterstützung schritt auch in der DDR-Zeit die Assimilation fort. Teile des sorbischen Siedlungsgebiets wurden im Interesse einer extensiven Braunkohlenförderung devastiert, restriktive Verordnungen im Bildungswesen schädigten die nationale Substanz. Werke von Schriftstellern, Komponisten und Malern konnten in einigen Fällen nationale Grenzen überschreiten, kulturelle Traditionen wurden erhalten und ausgebaut. Die Sorabistik erlangte internationale Anerkennung.

Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1990 entfaltete sich unter den Sorben ein differenziertes Vereinsleben, die politischen und kulturellen Bestrebungen wurden im erneuerten Dachverband "Domowina" zusammengefasst. Der Freistaat Sachsen und das Land Brandenburg gewährten in ihren Verfassungen und in weiteren Gesetzen den Sorben politische Rechte. Sie verpflichteten sich im Erlass der von ihnen gemeinsam mit dem Bund errichteten "Stiftung für das sorbische Volk" (1991), sorbische Sprache, Kultur und Wissenschaft zwecks Erhaltung sorbischer Identität zu fördern.

Die Sorbische Sprache

Eine für Fremde besonders interessante Eigenheit der Lausitz ist, dass hier neben dem Deutschen eine bodenständige "Fremdsprache" gesprochen wird: das Sorbische. Sorbisch, für das von alters her auch die Bezeichnung Wendisch gebräuchlich ist, zählt zur Familie der slawischen Sprachen. Damit steht es dem Tschechischen, Polnischen und Slowakischen nahe, mit denen gemeinsam es die Gruppe der westslawischen Sprachen bildet.

Sorbisch ist heute noch in Teilen der Ober- und Niederlausitz verbreitet. Eine ganz andere Situation existierte in historischer Zeit. In den jetzigen Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern siedelten einstmals vorwiegend slawische Stämme und wurden slawische Dialekte gesprochen. Das heutige Sorbisch ist das einzige bis zur Gegenwart erhaltene slawische Idiom in Deutschland.

Schriftliche Zeugnisse in sorbischer Sprache aus dem Mittelalter gibt es nicht. Wir können uns aber mit Hilfe des Deutschen ein ungefähres Bild vom Altsorbischen machen. In weiten Gebieten Ostdeutschlands sind die heutigen deutschen Namen zahlreicher Orte sorbischsprachiger Herkunft. Als Beispiele zwei sächsische Großstädte: der Name Leipzig ist von dem sorbischen Wort lipa "Linde" abgeleitet und Chemnitz wurde vom altsorbischen Wort für "Stein", das im modernen Sorbischen kamjeń lautet, gebildet.

Erste schriftliche Texte in Sorbisch sind uns aus der Zeit nach 1500 überliefert. Die luthersche Reformation forderte die Verbreitung des Christentums in der Muttersprache der Gläubigen; das begünstigte die Übersetzung der Bibel und anderer in der protestantischen Kirche benötigter Texte. Wenig später entwickelte sich auch ein sorbischsprachiges Schrifttum katholischer Provenienz, das der religiösen Betreuung der nicht reformierten sorbischen Bevölkerung diente.

Während die ersten Texte in einer sehr unterschiedlichen, den jeweiligen Mundarten der Übersetzer nahe stehenden Sprache verfasst waren, nahm das schriftliche Sorbisch an der Wende zum 18. Jahrhundert eine verbindlich normierte Form an. Dabei bildete sich gleichzeitig eine weitere sprachliche Besonderheit des Sorbischen heraus, die bis heute Gültigkeit hat. Es entstand nicht - wie bei der Mehrzahl anderer Völker in frühbürgerlicher Zeit - eine einheitliche Schriftsprache, sondern zwei schriftliche Formen: a) die obersorbische Schriftsprache in der Oberlausitz und b) die niedersorbische Schriftsprache in der Niederlausitz. Auch später wuchs das Sorbische nicht zu einer einheitlichen Schriftsprache zusammen, da es nie Staatssprache war und somit keine zwingende Notwendigkeit für ein gemeinsames Verständigungsmittel bestand. Die Lausitzer Sorben sprechen und schreiben also bis auf den heutigen Tag in zwei Sprachen.

Das Sorbische der Gegenwart ist nicht nur in Bezug auf die zwei schriftsprachlichen Ausdrucksformen gegliedert. Es haben sich auch erhebliche mundartliche Unterschiede erhalten. Der von 1965 bis 1996 im Druck erschienene "Sorbische Sprachatlas" zeigt die dialektale Differenzierung anhand zahlreicher Karten.

Sorbisch wird heute von ca. 40-60 000 Menschen gebraucht, und zwar sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form. Es passt sich den Erfordernissen der modernen Kommunikation an, indem es seinen Wortschatz ständig erweitert. Sorbisch wird gegenwärtig außer im Alltag u. a. in einer Reihe von Fächern im Schulunterricht, in kulturellen Institutionen und Organisationen, in der Kirche und in bestimmten staatlichen und kommunalen Verlautbarungen verwendet. Die sprachsoziologische Situation bewirkt eine ständige Weiterentwicklung der beiden Schriftsprachen. Trotzdem sind die sozialen Existenzbedingungen des Sorbischen im Vergleich zum Deutschen stark eingeschränkt und werden es auch in Zukunft bleiben.

Quelle: Sorbisches Institut, "Zur Geschichte der Sorben", Mai 2002, Internet: www.serbski-institut.de

Geschichtstafel

Jahr/ZeitraumEreignis
500-600 n.Chr. Besiedelung des Gebietes zwischen Oder, Erz- und Fichtelgebirge, Saale und Frankfurt/Oder durch etwa zwanzig sorbische Stämme.
631 Erste urkundliche Erwähnung der Sorben in der Chronik des Fredgar.
990 Mit den Milzenern in der Oberlausitz verliert der letzte sorbische Stamm seine politische Unabhängigkeit.
1000-1100 Innerer Landesausbau durch sorbische Bauern.
1150-1300 Einwanderung fränkischer, flämischer, thüringischer und sächsischer Bauern.
1200-1300 Kloster- und Städtegründungen in der Lausitz.
1293/1327 Verbot der sorbischen Sprache in Bernburg/S., Altenburg, Zwickau und Leipzig.
1405 Aufstand deutscher und sorbischer Handwerker in Bautzen.
um 1530 Sorbischer Bürgereid in Bautzen, das älteste bekannte sorbische Schriftendenkmal.
1548 Erste sorbische Bibelübersetzung durch Mikławš Jakubica.
1574 Erstes gedrucktes sorbisches Buch, ein Gesangbuch mit Katechismus von Albin Moller.
1706 Übersetzung des Neuen Testaments durch Michał Frencel ins Obersorbische.
1709 Herausgabe des Neuen Testaments durch Bogumil Fabricius in niedersorbischer Sprache.
nach 1750 Anfänge eines bürgerlichen sorbischen nationalen Bewusstseins; deutsche und sorbische Aufklärer beschäftigen sich wissenschaftlich mit der sorbischen Geschichte, Kulturgeschichte und Sprache.
1790-1794 Bauernunruhen in der Lausitz unter dem Einfluss der Französischen Revolution.
1809-1812 Herausgabe einer sorbischen Monatsschrift durch den Bautzener Zimmermann Bohuchwał Dejka.
um 1840 Entstehung einer sorbischen nationalen Bewegung mit dem Ziel, sorbische Sprache und Kultur zu erhalten.
1841/1843 Herausgabe der zweibändigen "Volkslieder der Wenden in der Ober- und Niederlausitz" durch Jan Arnošt Smoler und Leopold Haupt, eine "Enzyklopädie der sorbischen Volkskunde".
1842 Gründung der Zeitung "Tydźenska Nowina" durch Handij Zejler und Jan Arnošt Smoler, Vorläuferin der heute noch erscheinenden "Serbske Nowiny".
1845 Erstes sorbisches Gesangsfest in der Lausitz unter der Leitung von Korla Awgust Kocor;
Auftakt der sorbischen bürgerlichen Musikkultur.
1845/1847 Gründung der wissenschaftlichen Gesellschaft "Maćica Serbska".
1848/1849 Entstehung sorbischer Bauernvereine in der Oberlausitz; Forderung nach sozialen und nationalen Rechten ("Sorbische Bauernpetition"), nach Gleichberechtigung der sorbischen Sprache und Kultur in der Schule, Kirche und vor Gericht ("Große Petition der Sorben").
1854 Erste große Auswanderungswelle von Sorben nach Texas und Australien; Gründung sorbischer Siedlungen.
um 1875 Herausbildung der "Jungsorbischen Bewegung" unter Führung von Arnošt Muka und Jakub Bart-Ćišinski; forciertes Auftreten gegen nationale Unterdrückung im Deutschen Reich und für stärkere Entfaltung der sorbischen Kultur.
1877 Nationalepos "Nawoženja" (Der Bräutigam) von Jakub Bart-Ćišinski; Höhepunkt der klasischen sorbischen Dichtung im 19. Jahrhundert.
1912 Gründung der Domowina als Dachverband von 31 sorbischen Vereinen.
1937 Verbot der Domowina und jeglichen sorbischen kulturellen Lebens; Ausweisung sorbischer Lehrer und Pfarrer aus der Lausitz.
1945 Neugründung der Domowina.
1948 "Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung" in Sachsen.
1950 Regierungsverordnung zur "Förderung der sorbischen Volksgruppe" in Brandenburg.
bis 1958 Gründung zahlreicher sorbischer staatlicher Institutionen zur Förderung des national-kulturellen Lebens.
1964 Neuregelung des sorbischen Schulunterrichts führt zu drastischem Rückgang der Teilnehmer am sorbischen Sprachunterricht.
1966 I. Festival der sorbischen Kultur, dem bis 1989 sechs weitere folgten.
1989 Die sorbische Nationalversammlung ruft zum nationalen Dialog auf und fordert von der Domowina eine grundlegende Wende; Wiederbelebung des sorbischen Vereinswesens.
1992 Verfassungen der Länder Sachsen und Brandenburg garantieren den Sorben ihre Rechte.
1994 Brandenburger Landtag beschließt das "Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg", das "Sorben(Wenden)-Gesetz"; der Bundestag lehnt Festschreibung verbindlicher Rechte und Garantien für Sorben und andere Minderheiten ab.
1999 Sächsischer Landtag beschließt das "Gesetz über die Rechte der Sorben im Freistaat Sachsen", das "Sächsische Sorbengesetz"; Stiftung für das sorbische Volk wird selbstständig.

Quelle: Peter Kunze, "Kurze Geschichte der Sorben", 2001

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